Alltagsintegrierte Sprachbildung
Online- und Präsenzseminare Udo Elfert

Phasen des Schriftspracherwerbs und ihre Bedeutung für die Sprachbildung im Kindergarten


Die Kenntnis der Phasen des Schriftspracherwerbs ist auch für pädagogische Fachkräfte in Kitas und Kindergärten wichtig, weil einige der Phasen schon vor der Einschulung durchlaufen werden. Außerdem wirkt der Schriftspracherwerb in der Schule auf die alltagsintegrierte Sprachbildung und den Umgang mit Buchstaben in der Kita und im Kindergarten zurück.

Uta Frith ist eine deutsch-britische Entwicklungspsychologin und Neurowissenschaftlerin, die 1985 eine Stufeneinteilung des Schriftspracherwerbs entwickelt hat. In ihrem Modell gibt es vier Phasen des Schriftspracherwerbs. Zwar wurde das Modell inzwischen stark ausdifferenziert und erweitert, aber für unsere Zwecke (Konsequenzen aus dem Modell für pädagogische Fachkräfte in Kitas und Kindergärten) genügt die einfache ursprüngliche Stufeneinteilung.

Frith geht davon aus, dass es vier Phasen des Schriftspracherwerbs gibt, die jedes Kind beim Schriftspracherwerb zwar mit Überscheidungen aber nacheinander durchläuft:


1. Präliteral-symbolische Phase

Die erste Phase – auch zeitlich – ist die sog. präliteral-symbolische Phase. Hier entdecken die Kinder  die grundsätzliche Funktion der Schriftsprache und beginnen sie auszuprobieren. Zu beobachten ist dann zum Beispiel das

So-tun-als-ob-Schreiben

Beispiel: Ein Kind hat „malt“ Wellenlinien auf ein Blatt Papier. Wenn man das Kind fragt, was es da mache, antwortet es: „Ich schreibe.“


So-tun-als-ob-Lesen

Beispiel: Ein Kind hält ein Buch in der Hand – möglicherweise auf dem Kopf – und schaut ganz interessiert ins Buch. Möglicherweise spricht das Kind auch Sätze oder erzählt eine kleine Geschichte. Auf die Frage, was es da gerade mache, antwortet das Kind: „Ich lese.“


Die präliteral-symbolische Phase haben die allermeisten Kinder bis zum Eintritt in die Grundschule beendet.

 


2. Logographemische Phase

In der logographemischen Phase erhält das Kind Einsicht in die Symbolhaftigkeit von Schrift. Zeichen für die logographemische Phase sind:


Erkennen einzelner Buchstaben mit Symbolcharakter (<P> für Parkplatz, das gelbe <M> für McDonalds)

Beispiel: Man fährt mit dem Kind die Hauptstraße entlang. Am Horizont erscheint das große, gelbe <M> der allseits bekannten Fastfood-Kette. Das Kind sieht das <M> und ruft: „Da hinten, McDonalds!“


Erkennen von Wortbildern/Ganzwortlesen (z.B. den eigenen Namen)

Beispiel: Das Kind erkennt den eigenen (geschriebenen) Namen an der Garderobe der Kita.


Notieren einzelner Buchstaben oder Wörter aus dem Gedächtnis

Beispiel: Das Kind schreibt („malt“) den eigenen Namen aus dem Gedächtnis, ohne dass es die einzelnen Buchstaben lesen oder als Laute benennen kann.


Auch die logographemische Phase haben die meisten Kinder vor der Einschulung durchlaufen.

  


3. Alphabetische Phase

In der alphabetischen Phase bekommt das Kind Einsicht in die Beziehung von Schrift zu Laut.

Hier findet sich die phonetische/lautgetreue Schreibweise (Tiga, Muta…), umgangssprachlich: Die Kinder schreiben so, wie sie es hören.

Die alphabetische Phase setzt bei einigen Kindern schon vor der Einschulung ein.

Alle Kinder, egal wie auch immer sie schreiben lernen, durchlaufen diese alphabetische Phase. Die alphabetische Phase ist eine notwendige Voraussetzung für das orthografisch richtige Schreiben, die Rechtschreibung. (Phase 4)


Exkurs: Die alphabetische Phase, bei der orthografisch (noch) nicht „richtig“ geschrieben wird, ist vergleichbar mit den phonologischen Prozessen - „Tind“ (Kind), Täse (Käse), Fant (Elefant) - beim Lautspracherwerb. Hier müssen auch alle Kinder die Phase, in der phonologische Prozesse auftreten, durchlaufen. Sie sprechen in dieser Phase phonologisch auffällig, die Phase ist aber ein notwendiger Schritt hin zur richtigen Lautverwendung und zur phonologisch unauffälligen Aussprache: aus „Tind“ wird irgendwann „Kind“, aus „Täse“ wird „Käse“ und aus „Fant“ wird „Elefant“.


  

4. Orthographische Phase

In der vierten Phase, der orthografischen Phase, erkennen die Kinder die Regelhaftigkeit von Schriftsprache und berücksichtigen orthographische Regeln (Rechtschreibregeln).

„Tiger“ wird dann orthografisch richtig als <Tiger> geschrieben und nicht mehr als <Tiga>, das Wort "Mutter" wird als <Mutter> geschrieben und nicht mehr als <Muta>.

Die orthografische Phase durchlaufen die allermeisten Kinder im Rahmen des Schriftspracherwerbs in der Grundschule.

 


Da die meisten Kinder

  • vor dem Schuleintritt sowohl die präliteral-symbolische Phase (1) als auch die logographemische Phase (Einsicht in die Symbolhaftigkeit von Schrift) (2) bereits abgeschlossen oder erreicht haben und
  • als nächste Phase die alphabetische Phase in den Vordergrund tritt,

setzt man beim Schriftspracherwerb in der Grundschule häufig genau hier an.


Praktisch erfolgt dies, indem die Kinder zu Beginn eine sog. „Anlauttabelle“ an die Hand bekommen. Auf dieser Anlauttabelle sind sämtliche Buchstaben und Buchstabenkombinationen, die einem Laut entsprechen (SCH, CH usw.), aufgeführt (in Groß- und Kleinschreibung) und mit entsprechenden Bildern ergänzt. Neben oder über dem <A> findet sich dann das Bild einer Ameise, neben oder über dem <B> das Bild eines Baumes und so weiter. Mithilfe dieser Anlauttabelle können die Kinder den Bezug zwischen Buchstabe auf der einen Seite und Sprachlaut auf der anderen Seite herstellen.

Mit einer solchen Anlauttabelle kommen die Kinder sehr früh und schnell zum selbstständigen Schreiben: Die Kinder können von Beginn an alles schreiben (lautgetreu), was sie schreiben möchten und müssen nicht warten, bis sie ein Wort „richtig“ schreiben gelernt haben. Erfahrungsgemäß schreiben die Kinder dann häufig nach wenigen Wochen kleine Briefe, Notizen, Listen oder Briefe an die Eltern.


Es gibt auch andere Ansätze, wie zum Beispiel das Schreibenlernen auf Silbenebene. Aber auch hier müssen die Kinder die alphabetische Phase durchlaufen.


Da nach der alphabetischen Phase die orthografische Phase folgt, ist es wichtig im Rahmen eines differenzierten Unterrichts mit den Rechtschreibregeln nicht allzu lange zu warten, weil sich sonst das „falsche“ (da lautgetreue) Schriftbild verfestigt und die Kinder irgendwann umlernen müssten.

 

Für die alltagsintegrierte Sprachbildung im Kindergarten ist die Erkenntnis insofern wichtig, als dass alle Kinder die alphabetische Phase durchlaufen und genau hier zu Beginn des Schriftspracherwerbs angesetzt wird. Deshalb sollten die pädagogischen Fachkräfte in Kitas und Kindergärten die Buchstaben nicht mit ihrem eigentlichen Namen benennen, sondern sie so benennen, wie sie klingen. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter: Umgang mit Buchstaben und Vorbereitung auf den Schriftspracherwerb


(c) Udo Elfert 2021


Zurück zur Artikel-Übersicht